F. Rijkers: Arbeit – ein Weg zum Heil

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Titel
Arbeit – ein Weg zum Heil?. Vorstellungen und Bewertungen körperlicher Arbeit in der spätantiken und frühmittelalterlichen lateinischen Exegese der Schöpfungsgeschichte


Autor(en)
Rijkers, Fabian
Reihe
Mediaevistik, Beihefte zur Mediaevistik 12
Erschienen
Berlin 2009: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
299 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ruth Jakobs

«Im Schweiße Deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen.» Der Vers Gn 3,19 verweist auf die besondere Stellung der körperlichen Arbeit in den monotheistischen Religionen. Die mittelalterlichen Interpretationen körperlicher Arbeit in der biblischen Genesis zu ergründen, hat sich der Marburger Mediävist Fabian Rijkers zur Aufgabe gemacht.

In seiner Dissertation spannt Rijkers einen gut 1000 Jahre übergreifenden Bogen von der jüdischen, römischen und griechischen Antike bis zur Karolingerzeit. Dabei unterteilt er sein Werk in vier chronologische Abschnitte, in denen jeweils heidnisch-antike Autoren, die spätantiken Kirchenväter und die frühmittelalterlichen Exegeten behandelt werden: Der erste widmet sich den Vorstellungen von körperlicher Arbeit in der heidnischen griechischen (Homer, Hesiod, Platon, Aristoteles) und römischen Antike (Cato d. Ältere, Varro, Vergil) und im antiken Judentum (Philon von Alexandria). Der zweite Teil befasst sich mit den sancti doctores Ambrosius, Hieronimus, Augustinus und Gregor dem Grossen. Der dritte Teil vergleicht die Genesisexegese des Isidor von Sevilla, Eugenius, Julianus und Taio, die Interpretationen im Intexuismus, des Beda Venerabilis und des so genannten «Pseudo-Beda». Der vierte Abschnitt über die Karolingerzeit behandelt Bibelgelehrte des 8. und 9. Jahrhunderts: Wigbod, Alkuin, Claudius von Turin, Hrabanus Maurus, die Bibelinterpretationen in der Pariser Glossa ordinaria, Angelomus von Luxeuil, Heimo von Auxerre sowie Remigius von Auxerre.

Methodisch nähert sich Rijkers dem Thema über eine bislang wenig beachtete Quellengattung, der Exegese. Der mittelalterliche Exeget betrachtete die biblischen Texte als «Träger einer ewigen Wahrheit», deren Botschaft es zu entschlüsseln galt. Keine literarische Gattung wurde stärker rezipiert. Exegesen dienten vor allem als Ratgeber für das alltägliche Leben. Rijkers nutzt vier charakteristische Bibelstellen und ihre Leitgedanken: Als erstes Thema wählt er Gn 1, 28 und damit den Zusammenhang von Herrschaft und Arbeit. Der Mensch wird aufgefordert, sich die Erde untertan zu machen. Als zweites Thema wählt er die Vertreibung aus dem Paradies in Gn 2,15, die weniger als Strafe, sondern gleichermassen als Schöpfungsauftrag anzusehen ist. Den dritten Aspekt bildet hingegen Arbeit als Mühsal und Leid in Gn 3,17–19 und Gn 3,23. Das vierte Thema ist der Gegensatz von Arbeit und Ruhe in Gn 2,2–3. Schliesslich widmet er sich dem Thema «Gott als Handwerker» im gesamten Sechstagewerk. Die Exegesen werden auf Wortfelder um die Begriffe opus, ars, und labor untersucht und philologisch-hermeneutisch bearbeitet.

Mit dieser strikt systematischen Vorgehensweise will Rijkers Vorstellungen und Bewertungen sichtbar machen und explizit nicht die Bedeutung von Arbeit in ihrem jeweiligen historischen Kontext – gleichsam als Diskurs – beschreiben. Vielmehr geht es ihm darum, Konstrukte dieses Topos im historischen Wandel zu vergleichen und den biografischen Einfluss auf die Bewertungen der Autoren zu erläutern.

Rijkers setzt sich vor allem mit den Ergebnissen Jacques Le Goffs auseinander, der an hand von ikonographischen, juristischen und literaturwissenschaftlichen Studien nachweist,
dass insbesondere in der Karolingerzeit körperliche Arbeit einen herausgehobenen Wert dargestellt habe. Rijkers setzt die Untersuchung bei den theologischen Schriften an, die gleichsam das Ideal der intellektuellen Führungsschicht der antike und des Mittelalters repräsentieren.

Die Ergebnisse der Studie sind bemerkenswert. Körperliche Arbeit wurde durch alle untersuchten Epochen hindurch bipolar bewertet. Sie galt einerseits als Last und Leid, andererseits enthielt sie positive Bewertungen, deren Gewichtungen und Begründungen sich indessen fundamental ändern konnten. Dabei wird deutlich, dass es keine lineare Entwicklung gegeben hat. Sowohl in der Antike als auch im frühen Mittelalter bewerteten die Kommentatoren körperliche Arbeit stets im Kontext ihrer Zeit. Einzig die bipolare Bewertung körperlicher Arbeit als leid- und gleichermassen freudvolle Tätigkeit wurde bereits in der Antike angelegt. Die Vertreter der römischen Republik, Cato. d. Ä. und Varro, werten nur die körperliche Arbeit in der Landwirtschaft als positiv, die des Handwerkes betrachteten sie als unbedeutend, ja unziemlich und schmutzig. Der spätere Cicero lehnt körperliche Arbeit ebenso als schändlich und zeitraubend ab. Er differenziert dabei zwischen den niederen Dienstleistungen und höheren Künsten. In der landwirtschaftlichen Betätigung sieht er dementsprechend einen hohen Nutzen des verwaltenden Grossgrundbesitzers, keinen Nutzen spricht er dagegen dem Sklaven zu, der den Acker bestellt. Erst die Stoa erkannte in körperlicher Arbeit ein Mittel zur sittlichen Selbsterziehung, als eine Tugendübung und Kräftigung des Willens. Die stoische Willensfreiheit findet sich später beim Kirchenvater Ambrosius wieder.

Ganz im Gegensatz zu den römischen polytheistischen Autoren sieht der Vertreter der jüdischen Antike, Philon von Alexandria, den Menschen geradezu verpflichtet, den Acker zu bestellen und sein Haus zu schützen. Philon sieht die körperliche Arbeit sogar als Voraussetzung für ein tugendhaftes Leben. Mit ihr könne sich der Mensch die Rückkehr des Paradieses verdienen. Seine Auffassung erhielt im frühen Christentum ein bedeutendes Gewicht. Vor allem Augustinus verknüpft körperliche Arbeit mit Tugendhaftigkeit. Neben ihm schreibt Rijkers zuvorderst Ambrosius, Isidor von Sevilla und Beda Venerabilis einen geradezu programmatischen Einfluss auf die Exegese der Genesis im Sinne körperlicher Arbeit zu. Wie Rijkers ausführt, kehren die die spätantiken Autoren der römischen Abneigung gegen jedwede körperliche Arbeit zunehmend den Rücken. Der Kirchenvater Ambrosius geht in Anlehnung an die Stoiker von einem freien Willen des Menschen aus, auf den körperliche Arbeit vor allem asketische Wirkung hat. Im Sinne der Kasteiung sei körperliche Arbeit jedoch zuvorderst als Strafe anzusehen. Augustinus modifiziert Ambrosius Haltung und wendet sie ins Positive. Seiner Auffassung nach gebe es nichts Unschuldigeres als körperliche Arbeit, denn während dieser habe der Mensch keine Gelegenheit zu sündigen. Auch biete die körperliche Arbeit durch das Werk an der Natur Gotterkenntnis und sei somit Heilswirksam. Augustinus löst sich vollständig von der antiken Haltung und fordert körperliche Arbeit sogar für Gelehrte. Dies führe zur Verknüpfung von geistiger und körperlicher Arbeit. Augustinus modifiziert die bipolare Sicht auf Arbeit. Er betrachtet sie als Sündenstrafe, aber wichtiger noch als Fortführung des Schöpfungswerkes, durch die sich der Mensch die Rückkehr ins Paradies verdient. Damit sei die eigentliche Strafe die Abberufung von körperlicher Arbeit, nicht ihre Verrichtung. Beherrschend ist die Betonung des Positiven: Körperliche Arbeit kann auch nach der Vertreibung aus dem Paradies noch freudvoll sein. Rijkers führt dabei einen überzeugenden Nachweis, dass Augustinus Gedankengang nicht zufällig in einem noch römisch geprägten Kontext entstanden ist, sondern als entscheidender Umbruch hin zur Parallelisierung, ja zur positiven Würdigung von geistiger und körperlicher Arbeit angesehen werden muss. Papst Gregor trägt die Euphorie Augustinus’ nicht fort, sondern sieht das Leben des Menschen ausschliesslich auf das Jenseitige ausgerichtet und wertet die kontemplative Hinwendung zum Jenseits höher als die profane Existenz im Diesseits. Körperliche Arbeit spielt daher eine untergeordnete Rolle.

Isidor von Sevilla kommentiert die Genesisverse ebenfalls auf das Jenseitige bezogen, greift aber stärker wieder auf die Augustinischen Kommentare zurück. Den Anschluss sucht er bei der Auffassung Augustinus, der Mensch könne sich die Rückkehr ins Paradies durch körperliche Arbeit «verdienen». Er erweitert den Gedanken im Gregor’schen Sinne und sieht körperliche Arbeit als Zugang zum eigentlich relevanten Jenseits. Dabei liegt Isidors Anliegen – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – nicht so sehr im Kommentieren der Bibel, sondern vielmehr darin, den Gläubigen den rechten Umgang mit den Schriften zu lehren und theologisches Grundwissen zu vermitteln.

Der spätere Beda Venerabilis betont wiederum die Augustinische Deutung. Sein Anlehnungsgrad kommt beinahe dem Kompilieren gleich. Bei Beda verschwindet sogar jegliche Ambivalenz aus der Wertung. Arbeit habe auch nach dem Sündenfall etwas von ihrer freudvollen Seite behalten. Es sei der freie Wille des Menschen, der ihn zu körperlicher Arbeit bringe, nicht der Zwang der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse. Arbeit, so konstatiert Beda, sei zuvorderst Teilhabe am göttlichen Schöpfungswerk und bietet Zugang zum Paradies und damit zur ewigen Ruhe. Eindrucksvoll beschreibt Rijkers im Beda-Kapitel, wie die Lebenswirklichkeit Bedas dessen Auffassung prägte. Beda selbst kannte das Steinhandwerk aus dem Bau eines Klosters. Er beschreibt zudem Mönche, die mangels Arbeitskräften selbst landwirtschaftliche Tätigkeiten verrichteten.

Bedas Exegese wurde schliesslich zum mittelalterlichen Leitkommentar, gleichwohl die Bewertungen der Arbeit wieder an Ambivalenz gewannen. Die karolingischen Autoren zeigen ein heterogenes Bild. Ihr exegetischer Anspruch lag nun nicht mehr in der Niederschrift grundlegender theologischer Überlegungen, vielmehr verfassten sie ihre Kommentare im Auftrag eines Klosters oder eines weltlichen Herrschers. Besonders interessant ist die Interpretation des Wigbod, der körperliche Arbeit sogar für seinen Auftraggeber, den König, für heilswirksam hält. Diese extreme Augustinusrezeption findet sich bei den anderen karolingischen Autoren nicht wieder. Wigbod bildet eine Ausnahme unter den karolingischen Autoren. Die übrigen sehen körperliche Arbeit aus einem bipolaren Blickwinkel, meistenteils mit Übergewicht auf dem Strafaspekt. Jacques Le Goffs Feststellung, die karolingische Zeit habe eine Renaissance der körperlichen Arbeit hervorgebracht, kann daher nur mit Einschränkung gelten. Für die Exegeten dieser Zeit hatte körperliche Arbeit – wenn überhaupt – in weiten Teilen eine eher negative Bedeutung.

Der besondere Wert der Dissertation liegt in der Untersuchung der Exegesen als Quellengattung und der philologisch-hermeneutischen Methode. Rijkers gelingt es gut, durch seine vergleichende Darstellungsweise Verklammerungen zwischen den Autoren zu schaffen. Die biografische Unterfütterung der Untersuchung gewährt Einblicke in den sozialgeschichtlichen Kontext und die Lebenswelten der Exegeten. Für die Rezeption sind Rijkers lange lateinische Zitate interessant, die – einer Edition gleich – mit grosser methodischer wie inhaltlicher Sorgfalt übersetzt und interpretiert werden.

Die strikte Systematik wirkt sich indessen nachteilig auf die Lesbarkeit aus. Sie führt obligatorisch zu analytischen Schleifen, in Teilen an die Grenze zur Redundanz. In Passagen über Bibelkommentatoren, die sich nicht mit dem Thema Arbeit beschäftigen, gerät Rijkers auf Basis des biografischen Hintergrundes teilweise ins Spekulieren. Zudem übernimmt er teilweise die etwas betuliche Sprache der lateinischen Textvorlagen.

Dem ungeachtet handelt es sich bei dieser Studie um eine bedeutende Untersuchung, die auf bereichernde Weise einen diachronen Einblick auf die Bewertungen von körperlicher Arbeit liefert und darüber hinaus die Denk- und Lebenswelt der Exegeten veranschaulicht.

Zitierweise:
Ruth Jakobs: Rezension zu: Fabian Rijkers, Arbeit – ein Weg zum Heil? Vorstellungen und Bewertungen körperlicher Arbeit in der spätantiken und frühmittelalterlichen lateinischen Exegese der Schöpfungsgeschichte (=Mediaevistik, Beihefte zur Mediaevistik, Bd. 12), Berlin/Bern/Brüssel/ New York/Oxford/Wien, Peter Lang, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 468-471.

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